Fesselnde Sehnsucht

Ein BDSM-Liebesroman – hocherotisch – schottisch – herzergreifend
Buchcover Fesselnde Sehnsucht von Tanja Russ Eine junge Frau liegt mit seitlich gefesselten Händen halb im Schatten. Über ihr steht der Titel Fesselnde Sehnsucht.

ISBN 978-3945967393
Erschienen am 11.12.2o17
Erhältlich als eBook & Taschenbuch
Printausgabe 290 Seiten
Herausgeber Schwarze-Zeilen Verlag

Klappentext

Rebecka und Alec kennen sich schon eine ganze Weile und zwischen den beiden knistert es gewaltig. Doch Rebecka weiß, dass Alec auf BDSM steht und das schreckt sie ab. Alec hingegen spürt, dass tief in Rebecka die dunklen Sehnsüchte von Unterwerfung und Hingabe schlummern – aber er weiß nicht, wie er ihr so nahe kommen kann, dass er ihr behutsam den Weg zur Erfüllung ihrer geheimen Fantasien zeigen kann. Schließlich versucht er es mit der Hilfe von Rebeckas bester Freundin Lea, die Sie bereits aus dem Roman „Brombeerfesseln“ kennen …

Hinter dem Buch

Die Idee zu diesem Roman kam mir im Urlaub in Schottland. Ich war fasziniert von den Menschen, ihrer Gelassenheit – und dieser atemberaubenden Landschaft.
Meine erste Geschichte, Brombeerfesseln, ließ mich damals nicht los. Ich war ein bisschen verliebt in Lukas – solche Männer trifft man im echten Leben leider viel zu selten. Ich wollte einen zweiten Roman schreiben. Doch Lea und Lukas’ Geschichte war eigentlich auserzählt.
Ein zweiter Teil hätte bedeutet, die beiden zu trennen, um sie nach viel Drama und Tränen wieder zusammenzuführen. Aber das erschien mir gleich doppelt falsch: Erstens, weil Paare, die sich getrennt haben, kaum einfach so zur leidenschaftlichen BDSM-Dynamik zurückkehren könnten. Und zweitens – ich wollte einfach nicht, dass sie sich trennen.

Also blieb ihre Geschichte, wie sie war.
Aber ganz loslassen konnte ich sie nicht. Und da waren ja noch Alec und Rebecka, ihre Freunde, über die ich in den Brombeerfesseln nur am Rande erzählt hatte. Als ich genauer hinsah, bemerkte ich, wie viel Potenzial in den beiden steckt. Ihre Geschichte wollte erzählt werden – sie drängten sich mir förmlich auf.

Ein Teil spielt in Schottland, ein Teil in Deutschland – und ich finde, es ist eine richtig schöne, gefühlvolle und verdammt erotische Geschichte geworden.
Und Alec … nun ja, der ist fast noch heißer als Lukas. Überzeugt euch selbst, wenn ihr mir nicht glaubt. 😉

Leseprobe – Kapitel 3 und Kapitel 4

Kapitel 3
Nerviges Klingeln reißt sie aus dem Tiefschlaf. Rebecka zieht das Kissen über den Kopf. Doch jetzt lauscht sie geradezu angestrengt und wird dadurch erst richtig wach. Da, schon wieder das lästige Geräusch. Es hört nicht auf! Leise vor sich hin schimpfend schwingt sie die Beine aus dem Bett. Dem störenden Klang folgend, findet sie schließlich ihr Festnetztelefon unter einigen Zeitschriften auf dem Couchtisch im Wohnzimmer.
»Ja?«, knurrt sie gereizt.
»Guten Morgen, Süße. Sag bloß nicht, du hast noch geschlafen, es ist fast Mittag«, klingt die fröhliche Stimme ihrer besten Freundin an ihr Ohr.
»War spät gestern«, murmelt Becky schon etwas versöhnlicher. Lea verzeiht sie großzügig die Störung ihrer wohlverdienten, auf den Tag ausgedehnten, Nachtruhe.
»Ah, dann hattest du wohl eine ereignisreiche Nacht, was? Erzähl, wie war es? Geiler Typ? Hammermäßiger Sex?«
»Nett, aber nicht der Rede wert«, erwidert Rebecka knapp. Nicht, dass sie ihrer besten Freundin die delikaten Details verweigern würde, aber es gibt wirklich nichts Aufregendes zu berichten.
Die Freundinnen kennen sich schon seit ihrer Schulzeit, also gute fünfzehn Jahre. Lea ist die einzige Person auf der Welt, der Becky von ganzem Herzen vertraut.
Von Anfang an schätzte sie Leas unbeschwerte Fröhlichkeit sehr. Genau wie ihr Auge für die kleinen Dinge, die den Alltag so lebenswert machen. Ihren Enthusiasmus, mit dem sie sich mit allem, was sie zu geben hat, in Lebenslagen stürzt, die ihr wichtig erscheinen. Und wie sie sich für die Menschen einsetzt, die sie liebt. Außerdem bewundert sie die Freundin für ihren Mut sich fallenzulassen. Wäre Lea an ihrer Stelle, sie würde nicht zögern, sich in Alecs Hände zu gegeben. Hin und wieder beneidet Rebecka sie um ihre Risikobereitschaft und manchmal ist sie überzeugt davon, dass Lea komplett verrückt ist.
Einen Moment bleibt es still in der Leitung.
»Schade, hätte ja mal ein Hauptgewinn sein können«, sagt Lea dann bedauernd.
»Eher ein Trostpreis, obwohl eigentlich bin ich ungerecht. Er war nicht übel, wirklich. Es lohnt sich nur einfach nicht, groß darüber zu reden. War nett und Punkt. Aber nun erzähl, warum du mich aus dem Bett geholt hast.«
»Okay, also Lukas, Alec und ich gehen heute Abend in diese süße kleine Weinstube, die wir neulich entdeckt haben. Alec fliegt heute Nacht für drei Wochen nach Schottland und da wollen wir uns vorher noch mal treffen, ein bisschen quatschen, ein oder zwei Weinchen schlürfen. Fände schön, wenn du mitkommst. Hast du Lust?«
Alec … schon wieder. Reicht völlig, dass er ständig durch ihre Gedanken und Fantasien geistert, da muss sie ihn wirklich nicht auch noch sehen. Gut, dass er wegfährt! Das bedeutet mindestens weitere drei Wochen, die er sie nicht mit seinen dunkelblauen Augen und seiner Stimme, die ihr durch Mark und Bein geht, durcheinanderbringt.
»Ja, warum nicht. Klingt nett, da komme ich gerne mit«, hört sie sich sagen. ›Moment mal, bin ich verrückt? Ich hatte doch ablehnen wollen.‹ Aber das hieße, ihn insgesamt wenigstens zwei Monate nicht zu sehen. Sie könnte sich einreden, dass es ihr nur darum geht, Lea zu treffen, aber sie weiß, dass sie sich damit selbst belügt. Seufzend ergibt sie sich in ihr Schicksal, als Lea fröhlich weiter plappert:
»Lukas und ich holen dich um sieben Uhr ab und bringen dich später auch wieder nach Hause. Dann kannst du was trinken. Das wird bestimmt ein toller Abend!«
Sie beenden das Gespräch und Becky schwankt zwischen Freude und Ärger. Warum zum Teufel hat sie zugesagt? Und wieso kribbelt die Vorfreude in ihrem Magen? Und mal ganz ehrlich, warum zieht sich der Tag wie ein Kaugummi?
Als Lea endlich klingelt, ist Rebecka schon seit einer gefühlten Ewigkeit fertig und unruhig durch ihre kleine Wohnung getigert.
Die Weinstube ist gut besucht, sämtliche Tische sind besetzt. Alec hockt bereits an einem, doch jetzt steht er auf, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. Nachdem sie ihn freundschaftlich gedrückt haben, setzen sich Lea und Lukas nebeneinander auf die beiden Stühle. Damit ist der einzig noch freie Platz der neben Alec auf der engen Bank. Er umarmt auch sie zur Begrüßung kurz. Nicht mehr als eine kameradschaftliche Geste, doch sein Duft, eine würzige Mischung aus frischem Laub und Waldboden steigt ihr in die Nase und vernebelt ihre Sinne.
Er sitzt viel zu nah neben ihr und nachdem der Kellner die erste Runde eines vorzüglichen, süßfruchtigen Rotweins serviert hat, leert sie ihr Glas viel zu schnell. Immerhin gibt ihr der Alkohol die nötige Gelassenheit und sie beginnt seine Gesellschaft und ihre Viererrunde zu genießen. Anstatt so weit wie möglich von ihm abzurücken, rutscht sie so nah an ihn heran, dass sie seine Körperwärme spüren kann. Der durchdringende Blick, den er ihr daraufhin zuwirft, geht ihr durch Mark und Bein. Doch, statt etwas mehr Abstand zu gewinnen, trinkt sie ihr zweites Glas in einem Zuge aus.
»Wow, du legst ein mächtiges Tempo vor«, leicht irritiert fixiert Lukas ihr schon wieder leeres Glas. »Sei vorsichtig, das Zeug hat es in sich.«
»Ach lass sie nur, wenn sie Lust darauf hat, soll sie ruhig mal über die Stränge schlagen«, meint Alec grinsend und bestellt ein weiteres Glas Wein für sie. Bildet sie sich das nur ein, oder ist er jetzt noch ein Stückchen näher herangerückt? Zumindest pressen sich ihre Schenkel aneinander. Genießerisch, und wie sie hofft unauffällig, kuschelt sie sich an ihn. Warum Lea und Lukas sich so verschwörerisch angrinsen, bleibt ihr ein Rätsel. Was weiß sie schon, was für stumme Zwiegespräche die beiden führen. Ist ihr aber auch egal.
Alec erzählt ihnen von der zerklüfteten Landschaft der Highlands, den grünen Hügeln und den Bergen mit den vielen kleinen klaren Bergseen. Besser gesagt, er schwärmt davon. Sie wagt kaum, ihren Kopf zu drehen, um ihn anzuschauen. Seine Augen glitzern wie das Meer, wenn die Sonne darauf scheint. Man hört deutlich heraus, wie sehr er seine Heimat liebt.
Becky erhebt sich.
›Huch, entweder ich bin zu flott aufgestanden oder ich habe doch ein bisschen zu schnell getrunken‹, denkt sie und hält sich einen Moment am Tisch fest.
»Die Natur ruft«, kichert sie und steuert mit leicht unsicheren Schritten die Toiletten an. Beim Händewaschen lächelt sie ihrem Spiegelbild zu. ›Ist doch gar nicht so übel, warum will er mich nicht?‹ Sie zieht einen Schmollmund. ›Nein, tatsächlich ist es wohl eher so, dass ich auf die Bremse trete. Wieso eigentlich? Bin ich bescheuert? Ach ja, seine komischen Vorlieben beim Sex …‹ Sie streckt der Frau im Spiegel die Zunge raus. »Ich habe Lust auf ein Abenteuer!« Damit dreht sie sich um und macht sich, leicht wankend auf den Weg, zurück zu ihren Freunden.
Dort lässt sie sich wieder neben Alec auf die Bank plumpsen und entdeckt ein neues Glas Wein auf dem Tisch vor ihrem Platz.
So nahe wie nur möglich rutscht sie an ihn heran. Ob er das bemerkt oder nicht, ist ihr mittlerweile egal. Selig nippt sie an ihrem Wein und hört Alec zu, der seinen Bericht Gott sei dank noch nicht beendet hat.
Becky staunt nicht schlecht, als das Glas kurze Zeit später schon wieder leer ist. Sie fühlt sich berauscht, doch daran ist eher der Klang seiner Stimme schuld. Mit offenen Augen träumt sie vor sich hin. Sie und Alec in Schottland. Kennenlernen, woran sein Herz so sehr hängt, dass es dieses Strahlen auf sein Gesicht zaubert. Erleben, was ihn begeistert.
›Wie gerne würde ich ihn küssen. Einmal nur spüren, wie sich das anfühlt. Es wird mindestens einen Monat dauern, bis ich ihn wiedersehe. Seine Stimme wieder höre. Eine Ewigkeit. Warum eigentlich? Wieso soll ich so lange auf seine Gesellschaft verzichten?‹ Ihr wird etwas schwindelig.
»Bitte nimm mich mit. Lass mich nicht alleine hier«, lallt sie mühsam, erstaunt wie schwer ihr das Sprechen fällt.
Drei Augenpaare richten sich abrupt auf sie, doch das macht ihr gar nichts aus. Gut gelaunt schlürft sie ihren Wein, stolz auf sich, weil sie auf diese wunderbare Idee gekommen ist.
Diese wunderschönen dunkelblauen Augen scheinen bis auf den Grund ihrer Seele blicken zu wollen. Selbst wenn sie es wollte, wäre sie nicht in der Lage wegzuschauen.
»Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst, kleine Hexe. Manchmal gehen Wünsche in Erfüllung«, sagt er sehr ernst.
Hexe? Wünsche? Der Sinn seiner Worte bleibt ihr verborgen, aber das ist nicht weiter schlimm, solange sie nur dem Klang seiner Stimme lauschen darf.
»Mit dir gehe ich bis ans Ende der Welt«, nuschelt sie, mühsam, aber enthusiastisch. Sie fühlt sich so leicht und frei und immer noch ein bisschen schwindelig. Warum soll sie ihm nicht zeigen, dass sie gerade sehr glücklich an seiner Seite ist? »Aber ich gehe immer einen halben Schritt vor dir her«, setzt sie augenzwinkernd hinzu. »Weil ich mich nämlich nicht vor dir führen lasse, so!«
Er lacht und kommt ihr so nahe, dass sie die Bewegung seiner Lippen an ihrem Ohr spürt. So leise, dass nur sie ihn versteht, flüstert er: »Ob du vor oder hinter mir gehst, ist mir egal, mo shìtheag. Irgendwann wirst du vor mir knien und wir beide werden es genießen.«
Sie bemüht sich, den Sinn seiner Worte zu erfassen, doch es gelingt ihr nicht. Auch dem Tischgespräch kann sie nicht mehr folgen. Ihre Augen werden schwer. Unerheblich. Sie schmiegt ihren Kopf an Alecs Schulter und schläft tief und fest ein.

Kapitel 4
Rebecka erwacht aus einem tiefen, traumlosen Schlaf. Sie fühlt sich ein bisschen benommen. Nur langsam findet sie in die Realität zurück. Irgendetwas erscheint ihr merkwürdig.
›Das ist doch nicht mein Bett, oder?‹, grübelt sie. ›Nein, wohl nicht. Oh verdammt, bin ich etwa gestern bei dem Kerl eingeschlafen? Gar nicht gut! Bin ich mit neunundzwanzig tatsächlich schon zu alt für diesen Mist?‹
Offenbar hat sie lange geschlafen, denn Tageslicht flutet das Zimmer. Sie weiß nicht, wo sie ist, wie sie hierher kam, oder auch nur welcher Tag heute ist. Irritiert setzt sie sich in einem großen Doppelbett mit grau-rot-weiß kariertem Bettzeug auf. Ein Fehler, wie sich herausstellt, denn augenblicklich glaubt sie, jemand habe ihr mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen. Stöhnend kneift sie die Augen zu und lässt sich zurück in das weiche Kissen sinken. Ihr Mund ist staubtrocken. Was um Himmels willen ist geschehen?
Als sie letzte Nacht mit dem Typen auf seiner Matratze landete, war es stockfinster gewesen. Dennoch beschleicht sie das Gefühl, in einem ganz anderen Raum aufgewacht zu sein. Moment mal, jetzt erinnert sie sich. Sie ist nach Hause gefahren und hat dabei um ein Haar einen Unfall verursacht! Das hat sie doch nicht geträumt, oder?
Mühsam öffnet sie die Lider erneut und sieht sich blinzelnd um. Das Schlafzimmer wirkt gemütlich, aber ungewohnt rustikal. Dafür sorgen der dicke dunkelrote Teppich, und das Karomuster, das sich sogar in den Vorhängen vor den Fenstern wiederfindet. Ihr Blick wandert durch das Zimmer und bleibt an einem großen Glas Wasser und einer Packung Alka Seltzer auf dem Nachttisch hängen. Wer auch immer die Umsicht besessen hat, das an ihr Bett zu stellen, sie ist unendlich dankbar dafür. Sie drückt gleich zwei Tabletten aus der Verpackung und leert das Wasserglas in einem Zug. Alles in ihr drängt danach, aus dem Bett zu springen, das ihr nicht gehört, um herauszufinden, wo zum Teufel sie sich befindet. Doch die rasenden Kopfschmerzen zwingen sie, ruhig liegen zu bleiben. Ihr Hirn dagegen arbeitet auf Hochtouren.
Sie hält sich nicht mehr in der Wohnung ihres One-Night-Stands auf. Sie war nach Hause gefahren … Dunkel erinnert sie sich daran, ein paar Lebensmittel eingekauft und ihre Wäsche gewaschen und aufgehangen zu haben. Demnach hat sie sich nicht gestern, sondern vorgestern mit dem Typen vergnügt? Aber was hat sie gestern gemacht? War sie nicht mit Lea, Lukas und Alec verabredet gewesen? Natürlich! Das kleine Weinlokal, der süffige Rotwein … ›Verdammt ja, der Alkohol ist sicher schuld an diesem furchtbaren Hämmern in meinem Kopf.‹
Sie hatte neben Alec gesessen, so nah, dass sie ihn riechen konnte. In ihrem aufgestauten Gefühlschaos war das entschieden zuviel Intimität gewesen. Warum hatte sie es nicht fertig gebracht, Abstand zu halten oder einfach früh zu gehen?
Langsam kehrt die Erinnerung zurück, wenn auch verschwommen, unwirklich und vollkommen grotesk. Vage kommen ihr verworrene, im Rausch entwickelte Ansichten in den Sinn, doch an konkrete Inhalte kann sie sich beim besten Willen nicht erinnern.
»Bitte nimm mich mit! Lass mich nicht alleine hier.«
Nein … das hatte sie nicht zu ihm gesagt … es nicht laut ausgesprochen, sodass er es gehört hatte … oder doch?
Aber wenn er es nicht mitbekommen hätte, dann hätte er sie nicht so überrascht angeschaut. Dann hätten seine dunkelblauen Augen, die jedes Mal ihren Verstand ausschalten und ihr das Gefühl geben, im Meer zu treiben, ihr nicht den Boden unter den Füßen weggerissen.
Oh Gott, wie zum Teufel hatte das passieren können? Sie erinnert sich dunkel, immer wieder ein neues volles Glas Wein vor sich gehabt zu haben.
›Verdammt! Der Mistkerl hat mich abgefüllt!‹ Ihr schwant Böses. Sie schwingt die Beine aus dem Bett. Benommen schaut sie an sich herab, als ihre nackten Füße in den weichen Teppich sinken. Sie trägt nichts am Leib außer ihrem Slip. ›Wer hat mich ausgezogen? Alec etwa?‹. Gehetzt blickt sie sich um und erspäht erleichtert ihre Kleidung, die zusammen mit ihrer Handtasche ordentlich über einem Stuhl hängt. Heilfroh fischt sie ihr Handy heraus. Das Gerät ist aus, der Akku leer. Wie gut, dass sie gewöhnlich ein Ladekabel mit sich herumschleppt. Sie angelt es aus ihrer Tasche, doch als sie es einzustecken versucht, stutzt sie. Die Steckdosen in diesem Zimmer sehen merkwürdig aus. Ihr Netzstecker passt nicht hinein. ›Das darf doch nicht wahr sein! Wo zum Teufel bin ich?‹
Wortfetzen wabern durch ihr Hirn.
»Mit dir gehe ich bis ans Ende der Welt.«
Nein … nein unmöglich! Das hatte sie nicht gesagt! So etwas Peinliches und vollkommen Dämliches würde sie niemals von sich geben! … Schottland … das Ziel seiner Reise war Schottland! Und damit in diesem Fall wohl auch das ›Ende der Welt‹. Nein, das wagt der Mistkerl nicht! Ausgeschlossen, dass er sie zuerst abgefüllt und dann verschleppt haben könnte!
So schnell ihre Kopfschmerzen es zulassen, zieht sie sich an und stolpert aus dem Raum, über einen Flur mit holzverkleideten Wänden und knarzenden Dielen und eine Treppe mit ausgetretenen Stufen. Unten angekommen stürzt sie aus der Haustür und erstarrt.
Die Steckdose … die Erinnerungsfetzen … Ihre Umgebung bestätigt ihre schlimmsten Befürchtungen. Kein Zweifel, sie ist nicht mehr in Deutschland.
Das Wetter, grau, trüb und empfindlich kühl, passt gut zu ihrer Stimmung. Leichter Nebel liegt über grünen Wiesen. Linker Hand, ein gutes Stück tiefer erblickt sie Wasser, so weit das Auge reicht. Ein großer See? Ein Ozean? Keine Ahnung. Immerhin ist die frische Luft eine Wohltat für ihren brummenden Schädel. Ganz bewusst atmet sie die würzige Seeluft ein, während sie auf wackeligen Beinen über feuchtes Gras, auf felsiges Gestein zu rennt. Sie ist noch nicht einmal außer Atem, als sie nicht mehr weiter kommt. Eine Klippe. Das Meer, tief unter ihr, wirft schäumende Wellen gegen das Gestein. Faszination und Entsetzen kämpfen in ihr. Entmutigt setzt sie sich auf einen Felsen und blickt aufgewühlt in die raue Brandung.
›Was habe ich mir da eingebrockt? Wie komme ich wieder nach Hause? Ich will hier weg! Vielleicht ist das ja nur ein Albtraum und ich wache jeden Moment in meinem eigenen Bett auf.‹ Fröstelnd und ratlos schlingt sie die Arme um ihren Körper. ›Wie bin ich bloß hier her gekommen?‹